
Niedersachsen: Stadtflucht wegen steigender Wohnungskosten
Überall in Niedersachsen fehlt bezahlbarer Geschosswohnungsbau. Stadtflucht ist die Folge.
Das gilt besonders für die meisten Großstädte, Universitätsstädte und ihr Umfeld – sowie für das westliche Niedersachsen. Denn diese Regionen verzeichnen nach den Prognosen der gerade vorgestellten Wohnungsmarktbeobachtung 2019 der NBank bis 2040 ein Bevölkerungswachstum. Zudem findet zunehmend eine Flucht aus der Stadt in suburbane Räume und von dort in ländliche Regionen statt.
“Die größte Herausforderung in Niedersachsen bleibt für die nächsten Jahre die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum”, erklärt Olaf Lies bei der Vorstellung der Wohnungsmarktbeobachtung 2019 der NBank, der Förderbank des Landes Niedersachsen. Als zweite große Herausforderung bezeichnete der sozialdemo-kratische Bauminister der rot-schwarzen Landesregierung die Schaffung altersge-rechter Wohnungen. Und die dritte Herausforderung sei es, ländliche Räume attraktiv und lebenswert zu erhalten.
Kommunen träge bei Ausweisung von Flächen für Geschosswohnungsbau
Die Schnittmenge dieser drei Herausforderungen ist der Mangel an bezahlbarem Geschosswohnungsbau, insbesondere das Fehlen günstiger, kleiner Mietwohnungen für die wachsende Zahl kleiner Haushalte – in der Großstadt wie auf dem Land. Dabei ist die vierte – von Lies so nicht benannte – Herausforderung offensichtlich, die Kommunen zur Förderung des Geschosswohnungsbaus zu bewegen. “Kommunen tun sich schwer, Flächen für Geschosswohnungsbau auszuweisen”, erläutert Robert Koschitzki, Projektleiter der Wohnungsmarktbeobachtung bei der NBank.
Tatsächlich liegt der errechnete Bedarf an neuen Geschosswohnungen zwischen 2017 und 2025 in Hannover bei 2.400 jährlich. Gebaut wurden jedoch im Mittel der vergangenen fünf Jahre nur 660 Wohnungen. Auch in Braunschweig werden 770 Wohnungen gebraucht, doch wurden zuletzt nur 225 gebaut. Göttingen (Bedarf: 435/gebaut: 140) hinkt bisher ebenfalls deutlich hinter. Etwas besser sieht es in Osnabrück (490/275) oder Lüneburg (375/240) aus. Nur in Oldenburg wurden 770 Wohnungen jährlich gebaut – bei einem künftigen Bedarf von 645.
Groß- und Unistädte wachsen weiter – und Westniedersachsen
Diese Groß- und Universitätsstädte werden voraussichtlich bis 2040 wachsen, ebenso wie viele Kommunen im westlichen Niedersachsen, insbesondere in den Landkreisen Cloppenburg, Emsland und Vechta. Zwar wird besonders im Emsland viel Bauland ausgewiesen – nur in der Region Hannover sind es mehr (361 ha) -, doch nur 16 der 291 ha sind für Geschosswohnungsbau reserviert. In Lingen, mit 55.000 Einwohnern größte emsländische Agglomeration, sind es immerhin 7 von 15 ha.
Der Anreiz, in Lingen in Mietwohnungen zu investieren, ist jedoch bei einem Median der Neubaumiete von 7,60 Euro/qm (2017) nicht sehr groß. In der Universitätsstadt Lüneburg (76.000 Einwohnern), die im Hamburger Speckgürtel mit zu den teuersten Städten in Niedersachsen zählt, wurden 10,82 Euro/qm erzielt. Ähnlich hoch war das Preisgefälle bei Einfamilienhäusern im vergangenen Jahr: 200.000 zu 360.000 Euro.
Wanderung von der Stadt aufs Land
Tatsächlich sind im niedersächsischen Mittel die Mieten seit 2010 um 32% gestiegen, die Preise für Einfamilienhäuser um 54% und Eigentumswohnungen verteuerten sich – ob ihrer Konzentration auf die Städte – um 68%.
Diese Preisdynamik sieht Koschitzki als hauptverantwortlich für eine substanzielle Umkehr im Wanderungsverhalten zwischen niedersächsischen Kommunen. Während 2009 eine starke Wanderungsbewegung aus dünn besiedelten ländlichen Kreisen sowie ländlichen Kreisen mit Verdichtungsansätzen in städtische Kreise sowie vor allem in kreisfreie Großstädte zu beobachten war, hat sich diese Bewegung 2017 umgekehrt: Es gibt eine starke Wanderung aus den Großstädten in ihr Umfeld städtischer Kreise sowie aus diesem suburbanen Raum in dünn besiedelte Landkreise wie Northeim nahe Göttingen, Nienburg/Weser zwischen Hannover und Bremen, Cuxhaven und Cloppenburg. Deutlich steigende Preise für Eigenheime in diesen ländlichen Kreisen unterstreichen den Trend. Um Verfälschungen durch die Flüchtlingsbewegung 2015 auszuschließen, wurden nur Umziehende mit deutschem Pass erfasst.
Westniedersachsen: Mehr Beschäftigte, wenig Arbeitslose
Doch auch hier gilt es zu differenzieren. Zumindest Cloppenburg profitiert vom Zuzug nicht allein ob der relativ günstigen Kaufpreise für familientaugliche Eigenheime, sondern ebenso aufgrund der wirtschaftlichen Dynamik im westlichen Niedersachsen. So kletterte in Cloppenburg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten 2018 um 4,5% – Rang zwei nach Harburg bei Hamburg (5,1%). Und die Arbeitslosenquote lag bei 4%, im benachbarten Emsland sogar bei nur 2,5% – Topwert in Niedersachsen. Gleichzeitig verzeichnen 2017 auf Landkreisebene nur Cloppenburg, Emsland und Vechta einen Geburtenüberschuss. Den gab es sonst nur in den Großstädten Hannover, Göttingen und Osnabrück.
Damit “unsere kleinen und mittleren Städte attraktiv und lebenswert bleiben”, ist für Lies “entscheidend, dass endlich in ganz Niedersachsen flächendeckend schnelles Internet, eine stabile Mobilfunkversorgung zur Verfügung stehen” und der ÖPNV ausgebaut werde. Lies spricht zwar davon, “überall im Land gleiche Lebensverhältnisse nachhaltig zu sichern”, doch die gibt es aufgrund der auseinanderlaufenden wirtschaftlichen und demografischen Entwicklung bereits jetzt nicht mehr.
Konzeptvergabe, Mietshäusersyndikat, Erbbaurecht
Die NBank hat daher für Kommunen erstmals vier Entwicklungstypen zwischen langfristigem Bevölkerungswachstum bis mindestens 2040 sowie bereits aktueller Schrumpfung samt Angebotsüberhang von Wohnungen definiert sowie mit Handlungsempfehlungen zur Entwicklung des Wohnungsbestands verknüpft.
“Die Kommunen müssen alle ihre Flächen kennen und im Sinne einer nachhaltigen Stadtrendite bewirtschaften”, betont Michael Kiesewetter, Vorstandsvorsitzender der NBank. So soll Bauland nach Konzept, nicht nach Preis vergeben werden. Erbbaurecht sei eine Option, ebenso wie neue Betreiberkonzepte ohne Gewinnerzielungsabsicht, etwa das Mietshäusersyndikat. Städtebauliche Verträge sollen entsprechend mittel- und langfristigen Linien der Stadtentwicklung abgeschlossen werden. Die Kommunen sollen “wann immer möglich” Flächen kaufen. Gerade für Kommunen mit absehbar stagnierender oder schrumpfender Bevölkerung soll der Fokus auf die Innenentwicklung gelegt werden.
Koschitzki verweist auf Konzepte wie “jung kauft alt”. So könnten junge Familien ältere Einfamilienhäuser mit oft recht großen Grundstücken nutzen und gleichzeitig helfen, die Verödung ortskernnaher Siedlungen abzuwenden.
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